Meine Lieben,
Japan ist so ein großartiges, faszinierendes Land, auch mit interessanten und freundlichen Menschen, ich ärgere mich richtig, dass ich es erst im Alter von 50 Jahren entdeckt habe, und möchte auf jeden Fall wiederkommen!
Es gibt aber auch Dinge, die ich hier nicht so toll finde…
So ist Japan einerseits ein westliches Land mit Demokratie, Meinungsfreiheit und Rechtsstaat – andererseits ist die Zivilgesellschaft hier in vielerlei Hinsicht in (aus westlicher Sicht) den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts stehengeblieben:
Ich denke da einerseits an die Ausländer im Land, ohne die in Gastronomie, Einzelhandel oder Altenpflege nichts mehr gehen würde. Deren Wichtigkeit wird durchaus anerkannt, und m.E. werden sie hier auch respektvoll behandelt – aber dass sie eines Tages ein vollwertiger Teil der japanischen Gesellschaft werden könnten, ist noch nicht vorgesehen. Ich erinnere mich an einen japanischen Sketch, den ich vor einigen Jahren im Internet gesehen habe. Da saß eine Gruppe junger japanischer Muttersprachler mit europäischem und afrikanischem Äußerem im Café, zusammen mit einer japanisch aussehenden Amerikanerin – und die Bedienung versuchte immer wieder, mit der Amerikanerin Japanisch zu sprechen! Als ich das meinem lokalen Kontakt hier in Tokio erzählt habe, sagte er, dass er das genau so schon erlebt hat – die Bedienung wollte partout nur mit der einzigen Chinesin (!) in der Gruppe parlieren!
Nach unseren Maßstäben ebenfalls rückständig ist hier auch die Einstellung zu Homosexualität – diese ist legal und wird auch gelebt, aber nur unterhalb des Radars der Mehrheitsgesellschaft, ohne darüber zu sprechen, weil das Thema immer noch ein großes Tabu ist.
Vollends im Deutschland der 50er Jahre sind wir, wenn wir uns die Stellung der Frau in der japanischen Gesellschaft ansehen. Wir in Deutschland sind im Vergleich der westlichen Staaten zwar selbst ganz hinten bei der Gleichberechtigung der Frauen – aber zumindest GIBT es bei uns Firmenchefinnen, Professorinnen und Bundeskanzlerinnen, in Japan ist das nicht so, oder nur als absolute Ausnahme. Die große Mehrheit der Frauen scheidet mit dem ersten Kind aus dem Berufsleben aus, Karriere macht praktisch keine, und ihre Stellung in der Gesellschaft ist eindeutig unter der des Mannes! Ich persönlich lasse z.B. immer alle Einheimischen in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Aufzug zuerst aussteigen – dann hat mir mein deutscher Bekannter hier vor Ort aber gesagt, dass ich die Frauen damit verunsichere, denn in Japan geht IMMER der Mann vor der Frau! Deshalb schauen die mich also immer so unsicher und verschämt an, wenn ich sie durchwinke…
Wahrscheinlich nur in diesem Zusammenhang lässt sich das Phänomen der Maid (=Dienstmädchen) – Cafés erklären… wie soll ich die überhaupt beschreiben?
Ein Maid Cafe ist ein Cafe-Restaurant, wo man von jungen Frauen in einem „süßen“ Dienstmädchen-Look bedient und unterhalten wird, die einen als „Master“ oder „Lady“ ansprechen.
Am Anfang habe ich das Konzept gar nicht verstanden – da kommt halt dieses Dienstmädchen, bringt mir sehr schlechtes Essen, macht mit mir lustige Herzchen-Gesten und Klatsch-Spielchen, und dann bemalt sie meinen Teller mit Ketchup…
Im weiteren Verlauf wurde mir das Konzept klarer – irgendwann ging das Licht aus, und die Mädchen machten unter der Diskokugel eine quietschig-niedliche Tanzperformance, und zwischendurch werden die Gäste einfach mit Kindergeburtstags-Spielchen unterhalten und zum Fröhlichsein animiert.
Es gab z.B. mit großem Trara eine Lotterie, wo ich ein Foto von einem der Dienstmädchen gewonnen habe!
Das zeigt die andere Ebene dieser Art von Unterhaltung: Einerseits ist sie völlig unschuldig und jugendfrei, und auch Frauen und Familien gehen in diese Cafés…
Andererseits ist das Ganze auch ganz klar auf die Unterhaltung von heterosexuellen Männern ausgerichtet, die dafür bezahlen, hier endlich mal mit jungen Frauen sprechen und sich von ihnen anhimmeln lassen zu können!
Auch die unschuldig-süße Choreographie lässt immer wieder die kurzen Röckchen fliegen, so dass der Blick auf kitschige Rüschen-Unterhöschen frei wird!
Für mich eine eher zweifelhafte Erfahrung, zumindest als allein besuchender Herr, ein einer Gruppe mit Ausgehenden könnte das ja durchaus mal ganz lustig sein… Aber in einer Gesellschaft, in der man neben Pokemon-Karten Fotos von völlig bekleideten Frauen am Automat kaufen kann
oder sich Sammelfiguren niedlicher Frauen ins Wohnzimmer stellt
… ist das Konzept der Maid Cafés vielleicht nur konsequent. 🙂
Haha ich hatte dich gewarnt! Aus westlichen Augen ist das ganze schon etwas seltsam.
Ohne das ich Maid Cafés schön reden will, muß man auch die aber Seite bedenken:
– Die Angestellten machen den Job gerne weil besser bezahlt als normales Restaurant oder Supermarkt und trotzdem ’sauber‘
– für viele introvertierte und/ oder schüchterne Männer (und davon gibt es hier SEHR viele) ist das eine einfache Art sich nicht alleine zu fühlen (andere unterhalten sich halt mit einem wildfremden Bartender).
Die Kunst der professionellen Unterhalterin (meine die Geisha, wörtlich „Person der Künste“), die zahlende Gäste mit Unterhaltung, Tanz und einem Hauch Erorik (die sich ausschließlich im Kopf abspielt) unterhält, hat hier übrigens eine lange Tradition, und Geisha sind hoch angesehen, ja sogar ausdrücklich Teil des Kulturerbes. Natürlich hinkt mein Vergleich, ist doch bei dieser modernen Variante – wie bei vielen Dingen der Moderne – die Qualität sicherlich auf der Strecke geblieben… (jeder der schon einmal von einer echten Geisha unterhalten wurde weiß wovon ich spreche).
Danke für deine differenzierte Ergänzung, ich stimme dem voll und ganz zu! Wenn ich mit meinen Kindern mal hier bin gehe ich wieder hin, dann ist das sicher ein großer Spaß!