An meine Lieben (der erste Brief)

Meine Lieben,

ich sage gern: Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt!

Mir fällt es leicht, das zu sagen – allein schon weil ich zwei liebende Eltern hatte, die mir immer das Gefühl gegeben haben, dass ich „genau richtig“ bin, so wie ich bin.

Davon abgesehen ist es aber nicht so, dass mir das Glück immer schon in die Wiege gelegt war.

Niemals, nicht in meinen kühnsten Träumen hätte ich damals, als pummeliger Teenager mit autistischen Tendenzen im beschaulichen Mittelhessen

Hagen mit 15 auf dem Mofa

vorausgeahnt, was 30 Jahre später sein würde:

Dass ich einmal in der faszinierenden, internationalen Metropole Berlin heimisch werden würde.

Dass ich tatsächlich eine großartige Frau kennenlernen würde, die mich liebt und schätzt, und die mit mir eine Familie gründen würde.

Dass ich drei wunderbare Kinder haben würde, die fortan mein ein und alles sind.

Dass noch im hohen Alter von 70, 80 Jahren weiterhin meine Mutter an meiner Seite stehen würde, mit ganz enger Bindung an meine eigenen Kinder – und inzwischen ebenfalls in Berlin und nicht in unserem Einfamilienhaus in Dillenburg-Niederscheld, wo ich aufgewachsen bin,

Das ich, der (aus verschiedenen Gründen wie Scheidung der Eltern und Deutsche Teilung) kaum Kontakt zu anderen Familienmitgliedern hat, nicht nur eine Frau, sondern eine ganze Familie heiraten würde – mit noch mehr Kindern und mit Tanten, mit Schwägerin und Schwager, Schwiegervater und Schwiegermüttern, ohne die mein Leben sehr viel ärmer wäre.

Dass ich auch im Alter von 50 Jahren noch mit der Familie der zweiten Frau meines (leider schon verstorbenen) Vaters weiter in Kontakt stehen würde, wodurch ich einen letzten familiären Anker in meine hessische Heimat habe.

Dass viele Freundschaften aus meiner Jugend und Schulzeit (Social Networks sei Dank!) bis heute halten würden, und dass ich auch als Erwachsener über die Arbeit und die Kinder so viele Menschen kennenlernen würde, die ich schätze und die mir etwas bedeuten.

Dass ich mit meinem liebsten Hobby und einem der wenigen Sachen, die ich überhaupt gut kann – Dinge am Computer tun – tatsächlich meinen Lebensunterhalt bestreiten und meine Familie ernähren könnte.

Dass dies im Kombination mit der zweiten Sache, die ich gut kann – Englisch! – mir erlauben würde, mit klugen Menschen aus der ganzen Welt zusammen zu arbeiten und Software-Produkte zu entwickeln.

Dass ich, der bis zu seinem 18. Lebensjahr überhaupt nur fünfmal im Urlaub war, später einmal 36 Länder auf vier Kontinenten bereist haben würde.

Nein, das hätte niemand ahnen können, der mich damals als Teenager kannte – am wenigsten ich selbst. 🙂

„Glücklich“ kann man ja verschieden interpretieren, entweder als jemand, der einfach Glück hat (im Englischen „lucky“, im deutschen eher verbreitet in der negativen Form: „Meine Management-Leistung war eher unglücklich“) – oder als jemand, der sich glücklich fühlt (wie das englische „happy“).

Tatsächlich bin ich nicht immer nur happy; viel zu oft bin ich auch gestresst, generft, gereizt, überfordert, wütend, und die Familie muss darunter leiden. 🙁 Vielleicht brauche ich einfach mal eine Auszeit?

Dennoch sage ich gern: Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt – und das verdanke ich vor allem euch, meinen Lieben. Für euch ist dieser Blog.