Ich habe die Hölle gesehen

Meine Lieben,

heute bin ich mit der U-Bahn von meinem Hotel Downtown zum Hollywood-Boulevard gefahren, und ich habe die Hölle gesehen.

Mein indonesischer Uber-Fahrer vom Flughafen hatte mir gesagt: „You will not like the metro – it’s dirty, it stinks, and it is full of homeless…“

Ich dachte: Na klar, Amerikaner und ihre Einstellung zum ÖPNV, und dann auch noch ein professioneller Chauffeur, was soll er sonst sagen…

Leider hatte Narden vollkommen Recht – die bei Annes und meinem letzten Besuch 1998 noch nicht mal eröffnete U-Bahn ist inzwischen schon völlig verrottet und dem Verfall preisgegeben, so dass bis auf ein paar Student:innen und andere Arme sie NIEMAND nutzt!

Mein nächster U-Bahnhof ist in der Union-Station, ca. 15 Minuten Fußweg entfernt
Der Bahnhof ist sehr schön, aber mehr ein Museum als ein Bahnhof, Züge fahren hier nur sehr wenige, und auch das sind vom Stand der Technik her eher Museumszüge
Ich gehe runter in die U-Bahn und frage mich: Warum ist denn hier niemand? Und warum hebt niemand den Müll auf, die haben hier doch dutzende Arbeitskräfte (allerdings als Security) im Einsatz?
Das ÖPNV-Netz ist für 10 Millionen Einwohner äußerst bescheiden…
… und die kurzen Züge fahren nur alle 15 Minuten! Der Bahnhof stinkt nach Pisse.

Dann kam der Zug, und er ist tatsächlich – ihr kennt mich, ihr wisst wie ich reise und wie ich es erlebe, ich übertreibe nicht! – mehr eine rollende Obdachlosenunterkunft als alles andere, zumindest heute, wo es draußen in Strömen regnet!

Der Wagen ist komplett verdreckt, überall kauern die Obdachlosen, es stinkt nach Verwahrlosung und menschlichen Ausscheidungen, und nicht wenige hier haben schwere psychische Probleme und brabbeln und schreien, einer läuft lamentierend mit einem langen Stock auf und ab…

Fünf Meter weiter im Wagen steht ein verängstigtes, weißes Rentnerpaar, die erstmal skeptisch sind als ich sie anspreche, dann aber mit mir ins Gespräch kommen, so dass wir uns alle etwas sicherer fühlen, der desillusionierte Security-Mann ist zwischenzeitlich nämlich wieder ausgestiegen. Sie kommen aus England und besuchen ihren Sohn, der hier lebt – auch wenn sie keine Ahnung haben warum, wie sie sagen…

Ich liebe ja Hollywood-Filme mit einem Endzeit-Szenario, wo die Zivilisation untergegangen ist und die letzten Aufrechten ums Überleben kämpfen, oder Filme über die Zombie-Apokalypse, und ich weiß jetzt, woher die Hollywood-Autoren ihre Inspiration haben: Sie müssen nur mal mit der Metro bis Downtown fahren – was sie aber nie tun würden, der Sohn des englischen Paares hat das in einem Jahr hier noch nie getan, und auch seinen Eltern davon abgeraten

Ich weiß, die USA sind nicht Downtown L.A., sondern immer noch die größte Volkswirtschaft der Welt, mit viel Wohlstand in den abgeschirmten Gated Communities, weit weg von der Welt der Armen…

Aber auch im entwickelten Teil der USA gibt es nahezu keinen ÖPNV, keine Sozialfürsorge, kein kostenloses Bildungs- oder Gesundheitssystem für alle, keinen bezahlbaren Wohnraum und keine moderne Infrastruktur.

Im direkten Vergleich sowohl mit den entwickelten (Japan, Singapur) als auch den sich entwickelnden (Thailand, Malaysia) Ländern Asiens liegen die USA inzwischen zwei Generationen (!) zurück, und es gibt hier auch keine Anzeichen, dies irgendwann aufholen zu wollen, dafür ist die Lobby der Reichen zu stark, die der Gesellschaft nichts abgeben wollen! Sollen die Armen halt arbeiten gehen, dann haben sie auch ein Haus mit Wachschutz und zwei Autos, und brauchen gar keinen ÖPNV und keine Krankenversicherung!

Dennoch sind hier die Preise sehr hoch, höher als in Japan oder in Europa – meines Erachtens eine gigantische Blase, die durch nichts fundiert ist, und die eines Tages wie bei „Des Kaisers neue Kleider“ platzen wird – und die US-Amerikaner werden aufwachen und feststellen, dass SIE die Dritte Welt sind.

Mein Hotelzimmer – ich weiß, es ist ein (sehr schönes!) Vintage Hotel…
… aber sie nehmen 120 $ pro Nacht, für ein Zimmer ohne Bad und Toilette, auf dem Standard der 40er Jahre des 20. Jahrhunderts. Wie lange noch, bis die Welt und die Amerikaner selber merken, dass ihr Preisniveau durch nichts fundiert ist? Dann geht es bergab.

Nachtrag vom Rückweg: Mit Start am Hollywood Boulevard ist es in der U-Bahn etwas besser,

Der U-Bahnhof in Hollywood

es sind auch noch andere Touristen und Pendler in der Bahn, aber die ziehen sich Masken an (das macht hier sonst nie irgendwo jemand!) oder zumindest das T-Shirt über die Nase – dabei riecht es diesmal gar nicht nach Pisse, sondern nur nach Marihuana, das ist etwas angenehmer…

Auch die Metro-Betreiber haben offensichtlich erkannt, dass es so nicht weiter geht, und ein Freiwilligen-Programm (Geld ist ja augenscheinlich nicht da) mit U-Bahn-Helfern aufgelegt – die standen gerade als Dreiergruppe am Ausgang, winkten allen Fahrgästen zu und riefen lächelnd „Have a good day!“.

Ich denke mir das nicht aus.

Jetzt bin ich wieder an der Union Station, und muss noch 15 Minuten durch das apokalyptische Downtown L.A. laufen… es dämmert bereits, und ich muss mich beeilen, dass ich es bis zur Dunkelheit in meine geschützten vier Wände schaffe und die Tür dreifach verriegeln kann – ihr kennt das aus den Filmen. 😉

Ach nee, ich traue mich, und gehe noch einen Block weiter, in den (neben meinem winzigen Hipster-Viertel) einzigen ansehnlichen und lebendigen Teil von Downtown: Japan Town! LOL

„Japan Town“ ist eigentlich nur eine moderne Mall ohne Dach
… ein Japanoland!
… und dass ich hier hingehe, weil es der einzige einladende Teil meiner Neighborhood ist, sagt eigentlich schon alles.

Nachtrag April 2024 – als ich diesen Cartoon sah, musste ich wieder an den Beitrag denken:

4 Kommentare zu “Ich habe die Hölle gesehen

  1. Jan der persönliche Guide (und Realist) schreibt:

    Ich sags nicht gerne aber was du siehst ist schlicht das Ergebnis des jahrzehntelangen exzessiven Gelddruckens – live und in Farbe. Europa hat 2013 den gleichen Pfad eingeschlagen und Japan kommt da (leider) auch noch hin …

    Eine Freundin von mir (Amerikanerin mit Eltern aus HK) zieht gerade aus LA wieder nach China weil sie die destruktive Energie nicht mehr aushält, vor allem auch weil die sich natürlich auch in den Köpfen der Bevölkerung fortsetzt.

  2. Aber sage mir bitte als Fachmann – wieso vor allem wegen des exzessiven Gelddruckens? Es wurde ja jahrzehntelang viel, viel zu wenig Geld investiert?

    • Jan der persönliche Guide (und Realist) schreibt:

      Zu komplex für einen Blog, aber in a Nutshell und so kontraintuitiv wie es klingen mag: Geldinflation mit künstlich niedrigen Zinsen führt zur Überschuldung (nicht unbedingt zur Steigerung der Produktivität) und genau diese Schulden fressen dann langfristig die Einnahmen auf, zunächst schleichend und dann schneller wenn die Zinsen steigen und die Zinszahlungen mehr und mehr Platz im Budget einnehmen. Die 2. Die öffentlichen Haushalte zahlen bereits heute mehr als 25% ihrer Einnahmen nur für Zinsen – und das bei einem Zinsniveau von nur 3%. Dazu kommt dann, dass die zusätzliche Nachfrage durch billige Kredite und unendliche Staatsausgaben die Preise anheizen (fing mit Häusern an) und die Bevölkerung immer weniger konsumieren kann (Löhne steigen immer langsamer), dadurch verdienen die Firmen weniger, zahlen weniger Steuern, und wir haben einen klassischen Teufelskreis. Und dann kommt schließlich noch der Effekt, dass Politiker die Probleme lösen wollen, indem sie noch mehr Schulden aufnehmen wollen um noch mehr Geld unter die Leute zu verteilen und damit die Nachfrage (und damit die Preise) nochmal zu erhöhen. Am Ende: Weimar, Zimbabwe usw

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