Kulturschock hoch drei

Meine Lieben,

ich bin nach einem zehnstündigen Flug in Los Angeles gelandet, der Stadt der Engel, mit vier Millionen Einwohnern (zehn Millionen im Großraum „Los Angeles County“) die zweitgrößte Stadt der USA.

Ich habe wieder wenig geschlafen, obwohl ich sogar ein wenig Geld in einen besseren Platz investiert hatte; als es auf die Landung zuging, schaute ich auf die Uhr, wie spät es in meiner Zeit ist, was zum ersten Schock führte: 02.30 Tokio-Zeit am 10. März – dann muss es ja in Los Angeles gegen 11 Uhr am 10. März sein, und ich habe das Hotel doch für den 09. gebucht! Mist, schon wieder! Tja… Ich bin zwar fünfzig Jahre alt und schon viel gereist, aber ich habe noch nie die Datumsgrenze überquert! Also alles gut, es ist jetzt hier in L.A. der Morgen des 09. März! 🙂

Der Kulturschock folgte sogleich in Form der schon sehr alten – ich hätte 65 Jahre geschätzt – amerikanischen Stewardess von United Airlines, die sehr amerikanisch mit jedem Gast ein wenig Smalltalk machte, voller „oh, really? This is nice!“, „wonderful!“ und „amazing“ – aber wenigstens zugewandt, nett und sehr freundlich!

Die andere Seite der Amerikaner – und damit der nächste Kulturschock – kam in Form der misstrauischen, gelangweilten und unfreundlichen Beamten der Homeland Security bei der Einreise, aber das kannte ich schon und hatte es so auch erwartet. Hier denkt man halt: JEDE einreisende Person MUSS kurz verhört werden, damit wir die Feinde der Vereinigte Staaten unter ihnen entdecken! Wir können die doch (trotz obligatorischem, digitalem Background-Check VOR der Abreise, ESTA) nicht einfach durchwinken! Und so sitzen da die armen Beamten, führen den ganzen Tag Kurzverhöre mit verschüchterten japanischen Touristen, und versuchen Unstimmigkeiten in deren Aussagen zu entdecken – ein Job, der die Grenzer sichtlich demotiviert und unfreundlich werden lässt.

Ich habe oft während meiner Reise durch Asien gedacht: Hier sieht man mal, wie freundlich und hilfsbereit man gegenüber Fremden sein kann, da muss man sich eigentlich schämen, wenn man sieht, wie wir in Deutschland manchmal Fremde behandeln – aber die deutsche Unfreundlichkeit ist nichts gegen das Desinteresse und Misstrauen, was man bei der Einreise in die USA erlebt!

Das nächste, was man sieht, sind gelangweilte und ebenfalls sehr offensichtlich frustrierte Mitarbeiter am Kofferband – kein Wunder, wenn man den gesetzlichen Mindestlohn in Kalifornien kennt, der nach einer Stunde Arbeit gerade für eine Bratwurst (siehe unten) reicht.

Dann: Der Flughafen! Offensichtlich in den 60er Jahren erbaut, als die reichen Amerikaner noch Steuern zahlten – seitdem verfällt die Infrastruktur. Das Kofferband war so altmodisch, dass es die große Zahl der Reisenden heutzutage gar nicht abfertigen kann, weshalb man eben die genannten Mitarbeiter braucht, die die Koffer in Handarbeit in drei Reihen anordnen.

Überhaupt war der ganze Flughafen sehr hässlich und heruntergekommen, deutlich weniger modern und ansprechend als selbst die Flughäfen in Indonesien oder Vietnam – und schlecht angebunden, man muss erst einen klapprigen und überfüllten Shuttlebus nehmen, um zu einem öden Parkplatz mit Maschendrahtzaun und einfachen Zelten gegen die südkalifornische Sonne („It never rains in Southern California“) zu gelangen…

…wo ich mir mein allererstes Uber bestellt habe – für 43 $ zum Hotel. Es gibt auch eine U-Bahn, aber da hätte ich umsteigen und am Ende nochmal 20 Minuten laufen müssen, das war mir nach dem langen Flug mit dem schweren Gepäck zu viel, und so konnte ich mich zumindest die ganze Zeit mit dem indonesischen Fahrer unterhalten. 🙂 Hier noch kurz seine Geschichte:

Mein Fahrer Narden kam vor 15 Jahren von Sumatra in die USA, weil seine Schwester ihn offiziell „gesponsort“ hat, inzwischen hat er aber endlich eine Greencard.

Seitdem fährt er Leute durch die Gegend, allein auf Uber hat er inzwischen 17.000 Fahrten – dafür muss er an fünf Tagen pro Woche erst von seinem Wohnort eine Autostunde entfernt, weil er sich L.A. nicht leisten kann, ins Los Angeles County und am Abend wieder zurück, und zwischendurch muss er Geld verdienen.

Von meinen 43 € gehen 20 $ an Uber und an den Flughafen, vom Rest muss er sein Auto unterhalten und das Benzin bezahlen.

Er sich einen schwarzen Lexus für 50.000 $ gekauft, so dass er die meiste Zeit als „Uber Black“ die Wohlhabenden kutschieren kann, was in Hollywood & Co auch gut nachgefragt wird, wie er sagt; aber damit er am Flughafen nicht ewig auf Passagiere warten muss, schaltet er dort auf „Uber X“ und verlangt damit nur den Mindestpreis, eben ca. 40 statt 100 $.

Ah, Los Angeles!

Los Angeles ist die drittreichste Stadt der USA, mit 200.000 Millionären – aber davon sieht man NICHTS, wenn man vom Flughafen in die Innenstadt fährt! Im Gegenteil, die ganze Stadt wirkt vom Highway aus ärmlich und schmutzig, eigentlich genau wie die großen Städte in den armen Ländern Südostasiens – was auch mein Fahrer so sieht.

Dennoch ist Los Angeles für Touristen sauteuer, ich habe hier das günstigste Hotel genommen, und zahle dennoch so viel wie noch nie auf meiner Reise, 120 $ / Nacht für ein Zimmer mit Gemeinschaftsbad auf dem Flur – es ist aber zumindest sehr stylisch, in einem 120 Jahre altem Gebäude:

Ich habe eine „Suite“:

Das Hotel liegt in „Downtown“, also der Innenstadt – nur darf man sich im Westen der USA darunter nicht eine Innenstadt wie in europäischen – oder asiatischen! – Städten vorstellen, schon gar nicht in Los Angeles!

Hier besteht Downtown zu großen Teilen aus alten, mehr oder weniger verlassenen und umgewidmeten Fabrikgebäuden…

… die inzwischen aber gentrifiziert und hipsterisiert wurden – es sind also nach jahrzehntelangem Verfall junge, kreative Leute aus meist gebildeten und verhältnismäßig wohlhabenden Familien eingezogen, die hier kleine Geschäfte,  Restaurants und Galerien betreiben –

Veganes Restaurant- natürlich!
Die „Wurstküche“
Hippe Bratwurst mit Sauerkraut und Zwiebeln, 10,50 $ – bei 15 $ Mindestlohn

zum Glück, denn alles sonst hier in Laufweite ist sehr, sehr traurig 😢…:

Das Rathaus von Los Angeles
Der Rathausplatz
Die „Altstadt“
Union Station im Stadtzentrum

Gefallen euch meine Fotos? Das waren die einzigen „schönen Touristenfotos“, die ich während eines zweistündigen Spaziergangs machen konnte! In Wirklichkeit sieht Downtown Los Angeles nämlich so aus:

Ich bin wirklich spürbar geschockt von dem, was ich hier gesehen habe, und dabei bin ich noch nicht mal zum ersten Mal hier:

Ich habe bislang darauf verzichtet, auf meiner Reise Elend und große Armut zu fotografieren…
… aber hier sind wir in einer der (auf dem Papier) reichsten Städte eines der reichsten Länder der Welt!
Dennoch gibt es hier gefühlt mehr Verfall, Armut und Obdachlosigkeit, als selbst in Indonesien
Darüber hinaus ist es auch einfach trostlos, ich bin jetzt zwei Stunden gelaufen, und habe nahezu kein Geschäft, kein Restaurant, keine Bar oder auch nur einen Geldautomat gesehen!

Wirklich schrecklich! Downtown Los Angeles ist der furchtbarste Ort meiner ganzen Reise, schlimmer und weniger einladend als selbst Jakarta oder Saigon!

Ihr merkt schon, ich bin unausgeschlafen, aber der Kontrast zu Tokio, wo ich am Morgen losgeflogen bin, ist auch einfach zu groß! Kulturschock hoch drei!

Morgen mache ich Foto von Hollywood und vom Strand in Santa Monica (Nachtrag: ist wegen Regen und uneinladender U-Bahn ausgefallen!), die werden ein anderes Bild zeigen – aber auch nur teilweise, und die Bilder von heute bleiben trotzdem in meinem Kopf.

Ein Kommentar zu “Kulturschock hoch drei

  1. Elisabeth Renate Gemein schreibt:

    Ich war wirklich auch geschockt. Ich kenne nur den Osten der USA. Dort habe ich so eine Öde nicht gesehen.
    Die einen erholsamen Schlaf und ansprechendere Bilder im Kopf1

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